Motivation

Wer schreibt eigentlich heute noch ein Tagebuch? Oder lautet die Frage eher, wer liest es? Und spielt das wirklich eine Rolle? Nicht wirklich, beschließe ich. Die Idee meine Erlebnisse der letzten größeren Radtour niederzuschreiben, reift schließlich schon länger in mir, mit Sicherheit verstärkt durch etliche Reiseberichte in Videoformat, wie man sie auf DVD, auf Netflix und natürlich auf YouTube zuhauf findet. Vor allem aber möchte ich die Tour(en?) aufarbeiten, Revue passieren lassen, das Erlebte noch einmal nachfühlen, kann man doch solche großen Touren nicht so oft unternehmen, wie man gerne würde. Im ersten Moment liegt es da natürlich nahe, es den genannten Einflussgebern gleichzutun und ein Vlog zu starten, vielleicht auch tatsächlich einen Film, der die Reise aufs Wesentliche reduziert zusammenfasst. Dagegen sprechen aber für mich drei ganz wesentliche Faktoren. Zum Ersten bin ich wirklich kein Bühnenmensch, die Vorstellung täglich auf Tour in die Kamera zu quatschen, gruselt mich richtiggehend. Zweitens glaube ich nicht recht daran, dass ich zur sinnvollen Nachbearbeitung von Filmmaterial fähig wäre. Schon die Fotosammlungen, die meine Touren abwerfen kriege ich nur mit Müh und Not entwickelt und im Dateisystem so abgelegt, dass ich die Bilder später mal wieder finde und halbwegs nachvollziehen kann, was auf den Fotos zu sehen ist. Und zuletzt, und das ist zum jetzigen Zeitpunkt wohl am wichtigsten, ist der Zug schon abgefahren. Die große Tour, deren Konservierung mir vorschwebt, liegt bereits hinter mir. Weit genug, dass man wieder beginnt zu träumen, aber doch zu nah, um sich schon ganz konkret mit der nächsten Ausfahrt zu befassen. So lande ich also bei der Frage vom Anfang. Wäre nicht am Ende die Textform die richtige Wahl für mich? Klar, man erreicht wohl bei Weitem nicht die Massen, wie man es mit YouTube könnte, aber möchte ich dieses Projekt überhaupt deswegen starten? Eigentlich nicht. Eigentlich möchte ich die Tour ein zweites Mal genießen, bewusst und fokussiert, ohne die Ablenkung durch Schnitt- oder Entwicklungsprogramme. Im Schreiben funktioniert das. Der kreative Prozess besteht in der Auseinandersetzung mit der Sache, nicht mit der Software. Der Kopf übernimmt die Arbeit, jede geschriebene Zeile ein Produkt der Auseinandersetzung mit den eigenen Erinnerungen, Gefühlen und Gedanken. Um ehrlich zu sein, habe ich die erste Hälfte des ersten Tages auch schon vor diesem Vorwort geschrieben und einige der Gedanken hier kamen mir erst währen des Schreibens. Besonders fällt mir die Ähnlichkeit zum Lesen auf, denn obwohl ich selbst meine eigenen Erlebnisse niederschreibe, überrasche ich mich fortwährend selbst. Vergessen geglaubte Details kommen mir in den Sinn, manchmal schweifen die Gedanken in ganz unverhoffte Richtung, sodass ich eigentlich mehrere Texte parallel schreiben müsste. Auch das motiviert mich zum Schreiben, denn gerade diese kleinen Details sind es, um die es mir letztlich geht. Nicht die besonderen Ereignisse, die man Jahre später lachend rezitiert. Und auch nicht die großen Sehenswürdigkeiten, die man zu genüge in Fotos festgehalten hat. Die Entscheidung steht also, erleichtert dadurch, dass ich ja nicht schreiben muss. Ich möchte das einfach mal ausprobieren, mal sehen, wohin es führt. Ob ich morgen noch Spaß daran habe? Ob ich den Text jemals irgendwo hochladen werde, und wenn ja, in welcher Form? Ob ihn dann wirklich jemand lesen will? Ob ich das heute geschriebene in zwei Wochen nochmal lese und mir denke: “Oh mein Gott...”?

Ich habe keine Ahnung.